Mit folgenden Fragen lassen sich die Perspektiven der jeweiligen Scheinwerfer erkunden:
Legitimation (Individuell & Innen):
Hier geht es um die eigene Erlaubnis zur Macht.
Damit wir Macht bewusst einsetzen und in „machtvollen“ Situationen souverän agieren können, ist es wichtig, unsere persönliche Einstellung zur Macht zu kennen und zu verstehen. Erst auf dieser Basis wird es möglich, sich selbst zur Macht zu ermächtigen. Zur Klärung helfen folgende Fragen:
- Welches persönliche Verhältnis habe ich zu Macht und welche Erfahrungen mit Macht haben mich geprägt?
- Schreckt mich Macht ab oder zieht sie mich an?
- Nehme ich Macht an oder lehne ich sie eher ab?
- In welchen Situationen ergreife ich Macht und welchen Preis bin ich bereit, dafür zu zahlen?
Machtausübung (Individuell & Außen):
Hier geht es um die Art und Weise, wie Menschen in machtvollen Positionen agieren.
Macht kann in sehr unterschiedlicher Weise sicht- und spürbar werden. Das Spektrum der Machtausübung reicht von direktiv, manipulativ oder sogar gewaltvoll bis zu kooperativ und sinnstiftend. Hilfreiche Reflexionsfragen sind hier:
- Wie übe ich Macht aus?
- Versammle ich Menschen hinter mir, überzeuge ich, lasse ich Wahlfreiheit oder übe ich Druck aus und bestimme, ohne Handlungsalternativen zu geben?
- Welche Art und Weise der Machtausübung beobachte ich bei Menschen um mich herum?
Machtressourcen (Kollektiv & Innen):
Hier geht es darum, was der Ursprung unserer Macht ist.
Jeder ist mit Macht ausgestattet. Mit der Geburt in ein bestimmtes Umfeld wird der Grundstein gelegt und über die Jahre eignen wir uns weitere Machtressourcen an (z.B. Wissen, Kontakte, Rollen, die wir einnehmen, usw.). Sich der eigenen Machtressourcen bewusst zu sein, ist Voraussetzung dafür, sie verantwortungsvoll einsetzen zu können:
- In welche sozialen Kreise wurde ich geboren, bin ich aufgewachsen und bewege ich mich heute?
- Über welches soziale Netzwerk verfüge ich?
- Welche Rolle habe ich heute inne und welche Stellung nehme ich ein?
- Welches Wissen oder welche Zugänge zu Informationen habe ich?
- Welche materiellen Ressourcen stehen mir zur Verfügung?
Machtkontext (Kollektiv und Außen):
Hier geht es um das Umfeld, in dem sich Macht entfaltet.
Der Kontext, in dem wir Macht einsetzen, entscheidet darüber, welche Wirkung die Macht entfaltet und welche Kraft sie entwickelt. In jedem Umfeld gelten eigene Regeln. Jeder Kontext verlangt nach einer anderen Legitimation sowie Ausübung von Macht und birgt unterschiedliche Risiken des Machtmissbrauchs in sich. So kann die gleiche Person zum Beispiel ihre Macht im familiären Kontext ganz anders ausüben, als in der Organisation, der sie angehört. Hilfreiche Überlegungen sind hier:
- Welche Rollen nehmen wir in welchem Umfeld ein?
- Wie unterscheidet sich unsere Machtausübung je nach Umfeld?
- Welche Machtinstrumente wenden wir nur in einem speziellen Kontext an?
- In welchen Kontexten verbieten wir uns selbst, Macht anzuwenden?
- In welchem Kontext wirkt unsere Macht am stärksten?
- Wie Rollen-abhängig ist unsere Macht?
Die Fragen sind beispielhaft zu verstehen und dienen nur für eine erste Annäherung an das Thema Macht. Im Hintergrund der Perspektiven stehen weitere Modelle, Konzepte und Ansätze zur Verfügung, die eine vertiefte Arbeit und Auseinandersetzung mit den Themen im Coaching und/oder Workshopsetting ermöglichen.
Macht entmystifizieren, um sie zu nutzen
Wir verstehen die 4 Perspektiven als eine Art Rahmen für die praxisnahe Klärung unserer individuellen persönlichen Haltung zu Macht. Ein auf dieser Basis von uns entwickeltes Workshopkonzept ermöglicht darüber hinaus, auch Machtdynamiken in Organisationen oder Teams zu erkennen und bearbeitbar zu machen. Auch für die Klärung der Frage, ob – und wenn ja – inwieweit Frauen und Männer unterschiedlich mit Macht umgehen, ist das Konzept hilfreich. Und schließlich bieten die Perspektiven einen Zugang, der dabei unterstützen kann, eine gemeinsame Sprache für Macht zu finden und sie damit zu entmystifizieren.
Die Art der Ausübung von Macht prägt die Unternehmenskultur
Besondere Relevanz haben die Perspektiven der Macht mit Blick auf Führung in Organisationen. Wir erleben eine Abkehr von alten postheroischen Bildern einer Führungskraft, die Top Down Macht gebraucht, um die eigenen Ideen und Vorstellungen umzusetzen. An diese Stelle tritt Führung, die Macht durch Sinnstiftung lebt, durch veränderte Arbeitsmethoden, eine andere Praxis der Machtausübung und auch Verantwortung über die Organisationsgrenzen hinausdenkt.
Für die praktische Umsetzung dieses zeitgemäßen Machtverständnisses im Kontext neuer Management-Ansätze und Theorien gibt es längst eine ausreichende Forschung, eine solide Empirie und ein erprobtes Instrumentarium. Doch weder passende Organisationsstrukturen mit flachen Hierarchien und autonomen Teams, noch niederschwellige Lern- und Feedbackschleifen oder eine neue Fehlerkultur können wirksam werden, wenn die Beteiligten und vor allem die Führungskräfte ihre individuelle Haltung zum Thema Macht nicht geklärt haben. Denn die neuen Managementkonzepte setzen eben voraus, dass Macht abgegeben, neu verteilt oder neu definiert werden.
Es lohnt also, auf die Machtperspektiven zu schauen, wenn es in Organisationen bei Fragen der Führungskultur oder der Umsetzung von agil(er)en Arbeitsmethoden hakt.
Plädoyer für einen bewussten Umgang mit einem mächtigen Phänomen
Perspektivvielfalt kann dabei unterstützen, neue Sichtweisen zu eröffnen. Wir wünschen uns, dass mehr Menschen über ihren Umgang mit dem Thema Macht nachdenken und die Chancen von Macht erkennen. Chancen können dann entstehen, wenn Macht mit Sinn, Verantwortung und einer entsprechenden Organisations-Praxis gepaart ist und wenn sie genutzt wird, damit Gutes entsteht. Ein reifer Einsatz unserer Macht wird mehr denn je gebraucht, um positiven Einfluss zu nehmen in Organisationen, auf unsere Umwelt, ökologisch und gesellschaftlich. Mut zur Macht!
Literaturempfehlungen:
- Bauer-Jelinek, C. (2009). Die helle und die dunkle Seite der Macht. Wie Sie Ihre Ziele durchsetzen, ohne Ihre Werte zu verraten. ecoWing
- Han, B.-C. (2022). Was ist Macht? Reclam
- Giernalczyk, T. & Möller, H. (2023). Agilität. Macht. Containment. In: Geramanis, O., Hutmacher, S. & Walser, L. (Hrsg.). Organisationale Machtbeziehungen im Wandel. Springer Gabler